Geschäftsführer Marc Greve erläutert, wie wichtig aktuell schnelle Lieferzeiten sind, freut sich über den Schub in der Digitalisierung und spricht sich für eine Herbstmesse und die „imm cologne“ aus. Die „möbel kultur“ war vor Ort, natürlich mit dem nötigen Abstand. Der erste Auswärtstermin nach drei Monaten macht Mut.
möbel kultur: Herr Greve wie sehr wurden Sie von dem Ausmaß der Corona-Krise überrascht? Ich erinnere mich, dass wir auf der „imm cologne“ zwar schon über mögliche Lieferverzögerungen aus China gesprochen haben, aber uns damals überhaupt noch nicht vorstellen konnten, was da auf uns zurollt.
Marc Greve: Uns hat es schon sehr überrascht als aus China plötzlich nichts mehr bei uns ankam. Da die Lieferfähigkeit für uns aber an erster Stelle steht, haben wir nicht gezögert und sofort vieles doppelt bestellt – bei unseren Zulieferern in Osteuropa. So konnten wir über die gesamte Zeit bis zum Shutdown pünktlich liefern. Und waren bis dahin mit der Produktion auf Stand.
Wir achten schon immer darauf, dass wir für alle Teile auf zwei bis drei Lieferanten zurückgreifen können. Die Lagerhaltung vor Ort bei den Fertigungen ist sehr hoch. In diesem Frühjahr hat uns das ganz besonders geholfen.Wir konnten immer reagieren. Im übrigen läuft es, Stand Ende Mai, mit China wieder reibungslos.
möbel kultur: Wie wichtig war es für Polipol die Lieferfähigkeit immer aufrecht erhalten zu können?
Marc Greve: Enorm wichtig.Wir haben uns gleich am Anfang der Krise die Frage gestellt, was wir besonders gut machen können, um uns vom Wettbewerb abzuheben. Und haben dann ganz strategisch entschieden, dass unser großer Vorteil die Lieferfähigkeit ist. Denn gerade jetzt braucht der Handel diese Verlässlichkeit, um die Ware ausliefern zu können – und dadurch die Liquidität aufrecht zu erhalten. Die Händler müssen in dieser Zeit schnell Geld in die Kassen bekommen.
Aus diesem Grund gibt es bei uns, verlängert bis zum 30. September, sämtliche Werbemodelle, in allen Kombinationen und Stofffarben innerhalb von 15 Arbeitstagen. Das ist aktuell wirklich ein riesiger Wettbewerbsvorteil, der zieht, denn viele Hersteller haben gerade Lieferzeiten von acht bis zehn Wochen.
möbel kultur: Wie haben Sie in den letzten Wochen und Monaten Ihre Fertigungs- stätten in Polen, Rumänien und Belarus steuern können? Wie sieht es dort derzeit aus?
Marc Greve: Als Produzent mit Werken in Osteuropa konnten wir nicht, wie die deutschen Hersteller, auf das Instrument Kurzarbeitergeld zurückgreifen, denn das gibt es dort nicht. Wir haben deshalb frühzeitig entschieden, die Betriebsferien vorzuziehen. Das heißt, dass wir die Werke, statt im Juli, im April für drei Wochen geschlossen hatten. Das hat uns geholfen, aber auch den Mitarbeitern, die in dieser Zeit ganz normal weiterbezahlt wurden. Denn von den osteuropäischen Staaten gibt es in solch einem Fall kaum Unterstützung für die Arbeitnehmer.
Und das führt nun dazu, dass wir den Sommer durchproduzieren. Und die Sicherheit haben, auch dann die kurzen Lieferzeiten einhalten zu können.
möbel kultur: Wie kam das bei den Mitarbeitern an?
Marc Greve: Sie haben alle sehr gut mitgezogen. Durch unser schnelles Handeln haben wir für Vertrauen gesorgt. Das kommt uns jetzt zugute, die Mannschaft ist wirklich motiviert.
Wobei auch wir nicht in die Zukunft blicken und sagen können, wie die Situation in drei oder fünf Monaten aussieht. Ganz nüchtern betrachtet wissen wir, dass jeder neue Corona-Fall die zeitweise Schließung von unseren Produktionsstätten bedeuten kann. Auch wenn wir sämtliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen haben, mit Mundschutz, verschobenen Schichten oder Abstandsregelungen. 2020 ist ein Ausnahmejahr. Jetzt müssen wir jeden Tag einfach mitnehmen was mitzunehmen ist.
Am Firmensitz in Diepenau wurden unsere Zukunftsprojekte – wie Digitalisierung, Prozessoptimierung und Produktentwicklung – übrigens die gesamte Zeit zu 100 Prozent vorangetrieben.
möbel kultur: Die jetzt positive Entwicklung gibt sicherlich ein gutes Gefühl nachdem die Bänder über Wochen still standen und auch keine Auftragseingänge reinkamen.
Marc Greve: Ja, das war schon eine ungewohnte Situation. Von 100 auf Null, das konnte sich vorher niemand vorstellen. Wir hatten immerhin sechs Wochen kaum Auftragseingänge. Das ist schon ein enormes Volumen für ein Unternehmen in unserer Größenordnung. März und April können wir trotz derzeit guter Auftragseingänge nicht so schnell wieder aufholen.
Früher haben wir immer gesagt, dass man mal eine Krise durchmachen müsste, um zu sehen, ob alle Abteilungen noch funktionieren. Aber so haben wir uns das nicht vorgestellt. Wobei der Stresstest aufgezeigt hat, dass wir gut aufgestellt sind. Wir sind wirklich stolz auf unser engagiertes Team. Vieles musste schnell und auf Zuruf entschieden werden. Lange Planungen waren nicht möglich. Das fordert ein schnelles Umdenken und fördert ganz neue Abläufe.
möbel kultur: Wie lief während des Shutdowns der Austausch mit dem Handel?
Marc Greve: Wir waren immer im Gespräch, weil wir lange ausgeliefert haben. Zum Glück wollten die Endkunden die Ware auch haben. In der Corona-Zeit ist vieles menschlicher geworden. Wir haben viele tolle Gespräche mit unseren Händlern und Lieferanten geführt. Ich glaube, dass jetzt alle – Lieferant, Hersteller, und Handel – gemerkt haben, dass wir wirklich in einem Boot sitzen.
möbel kultur: Wie entwickeln sich seit der Wiedereröffnung die Umsätze?
Insgesamt sind wir mit dem Auftragseingang zufrieden. Nicht nur in Deutschland, auch bei- spielsweise in Österreich und der Schweiz. Im übrigen Ausland läuft das Geschäft langsam an. Der Mai hat sich im Endeffekt, im Vergleich zum Vorjahresmonat, sogar besser entwickelt. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass uns die sechs Wochen des Shutdowns fehlen.
möbel kultur: Welche Produkte werden derzeit besonders gut nachgefragt?
Marc Greve: Bei uns zieht sich die Nachfrage wirklich durch das gesamte Sortiment. Das Argument der kurzen Lieferzeiten überzeugt.
möbel kultur: Wird die Branche letztendlich gestärkt aus der Krise hervorgehen, weil sich die Verbraucher wieder mehr für das Thema Wohnen interessieren?
Marc Greve: Wir denken schon. Die Menschen ziehen sich in der Krise in ihr Zuhause zurück – und wollen es sich dort schön machen. Aktuell hören wir aus dem Handel, dass die Durchschnittspreise in vielen Bereichen gestiegen sind. Das ist ein gutes Zeichen. Es sind zwar weniger Kunden in den Häusern unterwegs, aber die, die kommen, kaufen auch. Mit unserer Planungsware fällt es den Verkäufern aktuell leichter, hochzubedienen.
möbel kultur: Polipol hat in den letzten Jahren mit Nachdruck an der Digitalisie- rung gearbeitet. Ein Schwerpunkt ist die Möglichkeit, alle Produkte auch digital zu konfigurieren. Wie sehr hilft Ihnen das aktuell?
Marc Greve: Insgesamt freuen wir uns, dass das Thema Digitalisierung jetzt so stark Fahrt aufgenommen hat. Nicht nur in Bezug auf Video-Calls, sondern beispielsweise auch in puncto Konfigurator. Vieles, was wir schon vor der Krise gemacht haben, kommt uns jetzt zugute. Wir alle müssen es gemeinsam schaffen, künftig ohne Papier auszukommen, dann haben wir viele Chancen, gerade in der Prozessoptimierung. Doch wir haben große Hoffnung. In der Vergangenheit hat sich vieles noch sehr langsam bewegt. Die letzten vier Wochen haben aber gezeigt, dass viel mehr geht, dass unsere Branche viel stärker, flexibler und mutiger ist als wir gedacht haben. Jetzt kommen die Händler beispielsweise mit dem Wunsch auf uns zu, die Flächenkonzepte mit den Planungsprogrammen auch online zeigen zu können.
Ich denke, dass man in den nächsten Jahren sehr wendig sein muss. Das gilt für große Ketten genauso wie für kleine Händler. Denn der Endkunde stellt Anforderungen, denen wir gerecht werden müssen. Jeder muss mit seinen Wünschen abgeholt werden. Wir können es uns gar nicht leisten bestimmte Gruppen außer Acht zu lassen. Dafür müssen sämtliche Bereiche – Einkauf, Logistik und IT – zusammenkommen, um die Lösungen für unsere Kunden, auch für die Einkaufsverbände zu entwickeln.
In den letzten Wochen und Monaten konnten wir genau sehen, wer schon gut dasteht und wer noch mächtig in die Zukunft investieren muss.
möbel kultur: Wie stellen Sie sich die optimale Verbindung zwischen stationärem Handel und Onlinevermarktung vor?
Marc Greve: Seit vielen Jahren bieten wir den verschiedenen Einkaufsverbänden unterschiedliche Flächenkonzepte an. Ziel ist es, dass das Bild im Handel sich eins zu eins im Internet wiederfindet – und umgekehrt. Der Endkunde muss die Möglichkeit haben, sich online perfekt auf unsere Systemware vorzubereiten. Und im Handel findet dann der Kaufabschluss statt. Denn in der Regel wollen die Käufer sich vorher in das Polster setzen oder auch die Haptik der Stoffe und Leder fühlen. Aber das muss auch umgekehrt funktionieren. Dass sich der Kunde im Handel vorinformiert, sich Zuhause weiter mit dem Produkt beschäftigen und schlussendlich bestellen kann. Für uns war Online schon immer ein wichtiges Thema, aber in der Regel nur in Verbindung mit dem stationären Verkauf.
möbel kultur: Aktuell reden alle über die Herbstmessen. Wie stehen Sie dazu?
Marc Greve: Wir werden zur M.O.W. auf jeden Fall unsere Ausstellung öffnen. Wir haben genug Platz und sind hier in Diepenau sehr gut in der Lage, den Besucherandrang zu regulieren. Wir haben bereits viele gute Modelle und Funktionen entwickelt. Zudem wollen wir bis zum Herbst gemeinsam mit Albrecht Arenz von „DeinKonfigurator“ soweit sein, dass der Endkunde dann wirklich mithilfe des Tools die Möglichkeit hat, unsere Systemware auch online zu planen.
möbel kultur: Und wie bewerten Sie derzeit die „imm cologne“?
Marc Greve: Wir hoffen sehr, dass die Messe stattfinden kann und nicht eine zweite Corona-Welle kommt. Wir planen mit Köln. Denn wir wollen dem Handel sämtliche Möglichkeiten geben, unsere Neuheiten zu sehen und zu ordern, ob nun in Diepenau oder auf der „imm cologne“.
Wir denken, dass die Kölner eine riesige Chance haben können, eben weil die Messen im Herbst ganz anders verlaufen werden als sonst. Köln ist die erste wichtige Möbelmesse 2021. Dort wird Kauflust eine große Rolle spielen. Als ganz wichtig bewerten wir auch die Endverbrauchertage – gerade in dieser Zeit, in der es sich die Menschen in ihrem Zuhause schön machen wollen und das Thema Einrichten einen größeren Stellenwert bekommt. Wir brauchen diese Leitmesse.
möbel kultur: Was hat Polipol nächstes Jahr in Köln vor?
Marc Greve: Wir werden mit einer neuen Konzeption auftreten. Alles sehr offen und digital – mit Konfigurator, neuer Planungsware und Wohnwelten. Wir wollen dort zeigen, wie der Verkauf in Zukunft aus unserer Sicht aussehen kann. Durch die Corona-Situation kommt da sicherlich noch mehr Spannung rein.
möbel kultur: Setzt die Krise Energien frei?
Marc Greve: Ja, davon sind wir überzeugt. Für die Corona-Zeit gibt es keine Prozessanweisung. Am Anfang war die Erschütterung, auch weil der Jahresstart wirklich gut lief. Doch jetzt werden neue Chancen gesehen. Das ist in der gesamten Branche zu spüren. Es ist Pionierarbeit gefragt. Und es ist durchaus angebracht positiv zu denken. Viele blicken nach vorn. Auch weil sie sehen, Stand heute, dass die Möbelbranche noch recht glimpflich davon kommen könnte – anders als das Gaststätten- gewerbe oder der Tourismus.
Vielleicht kann die Branche der Krise in drei bis fünf Jahren sogar etwas positives abgewinnen, nämlich dass es gut war, dass sie durch die Krise aufgerüttelt wurde. Weil alle Beteiligten Themen angeschoben haben, die für die Zukunft wichtig sind. Und wir als Marktführer im Segment Polstermöbel wollen hier voran gehen.
EVELYNE BECKMANN